Tochi Onyebuchi – Beasts Made of Night
Tochi Onyebuchis Leben ist ein Spagat zwischen seinem Beruf als Anwalt für Bürgerrecht und seinen Bemühungen als Autor. Beide Karrierezweige verfolgt der US-Amerikaner nigerianischer Herkunft mit beeindruckender Professionalität. Er verfügt über Abschlüsse aus Yale, der Columbia Law School und der NYU. Seine Kurzgeschichten und Novellen erschienen in Asimov’s Science Fiction, im Nowhere Magazine und in der Anthologie „Panverse Three“. „Beasts Made of Night“ ist sein Debütroman, ein Traum, den er sich nach 15 Jahren harter Arbeit erfüllte und der Gerüchten zufolge der Auftakt einer umfangreichen, gleichnamigen Saga sein wird.
Der 17-jährige Taj ist ein Aki, ein Sündenfresser. Sein Körper ist übersäht mit Tattoos, die beweisen, wie viele Sünden-Bestien er erschlug. Diese Manifestationen der Sünde, hervorgerufen durch einen Magier, können zwar getötet werden, erscheinen anschließend jedoch auf der Haut des Aki, während die Schuld der Tat auf den Sündenfresser übergeht. Die meisten Aki verfallen eines Tages dem Wahnsinn. Taj weiß, dass er irgendwann den Preis für sein Talent bezahlen muss, doch noch gilt er als der beste Aki in ganz Kos. Leider ist seine Reputation wertlos, da seinesgleichen als verdorben geächtet werden. Niemand möchte zugeben, die Dienste eines Sündenfressers zu benötigen, schon gar nicht die königliche Familie. Als Taj in den Palast bestellt wird, um den König selbst von einer Sünde zu befreien, ahnt er nicht, dass er in eine abscheuliche Intrige hineingezogen wird, die nicht nur die Beseitigung aller Aki zum Ziel hat, sondern auch Kos zerstören soll. Taj muss handeln. Kann er den Wahnsinn, der bereits in ihm wütet, lange genug zurückhalten, um seine Freunde und ganz Kos zu retten?
Ich finde Tochi Onyebuchi sehr sympathisch. Ich bewundere sein Engagement im sozialen Bereich und seinen Ehrgeiz, parallel zu seinem fordernden Beruf eine Karriere als Autor anzustreben. Ich weiß, dass er mit einer Bipolar-II-Störung lebt und seine Alkoholsucht überwand. Deshalb bedauere ich die folgenden Worte von Herzen: „Beasts Made of Night“ ist eine Katastrophe. Nach der Lektüre war ich völlig geschockt, ich fragte mich ernstlich, ob in meinem Rezensionsexemplar vielleicht Teile fehlten, denn die Geschichte dieses Reihenauftakts fühlte sich dermaßen unvollständig und fragmentarisch an, dass ich ihr nicht einmal folgen konnte. So etwas habe ich noch nie erlebt.
Onyebuchi konnte sich offenbar überhaupt nicht in seine Leser_innen hineinversetzen. Er beschreibt nichts, er erklärt nichts, er schubste mich in dieses löchrige Gebilde hinein und erwartete, dass ich mich ohne seine Hilfe darin zurechtfand, während er munter riesige Gedankensprünge vollzog und keinen einzigen Aspekt verlässlich ausarbeitete. Ich stürzte im freien Fall durch die Löcher in Handlung, Chronologie, Worldbuilding und Charakterkonstruktion und konnte zuschauen, wie mir „Beasts Made of Night“ rasant egal wurde, weil ich es nicht begriff.
Diese Entwicklung betrübt mich, denn ich ahne, welche Geschichte Onyebuchi eigentlich erzählen wollte und wie sie sich in seinem Kopf abspielte. Er konnte seine Fantasie wohl nicht auf Papier bannen. In einem Interview erwähnte er, dass das Setting Kos von der nigerianischen Stadt Lagos inspiriert sei. Diesen Eindruck teilte ich nicht, mir erschien die ummauerte Stadt wie eine krude Version des antiken Roms, erweitert durch einen wilden Mix östlicher Kulturen und Gebräuche. Was hinter Kos‘ Mauern liegt – keine Ahnung. Da sind Bäume. Mehr weiß ich nicht.
Die Gesellschaft, die dieses inkonsistente Bild bevölkert, erschloss sich mir ebenfalls nicht. Hat die königliche Familie nun Macht oder wird Kos in Wahrheit von Magiern regiert? Ich weiß es nicht. Ebenso fehlte mir eine Begründung, wieso die Aki verabscheut werden, obwohl ihr Wert unschätzbar ist. Sie erweisen den Menschen einen unverzichtbaren Dienst, da Sünden nicht nur ideologisch abgelehnt werden, sondern auch „krank machen“. Inwiefern und wieso – ich weiß es nicht. Da sie nun schon als Bodensatz der Gesellschaft gelten, läge es nahe, ihre Tattoos, die sie offen brandmarken, zu verstecken. Tun sie nicht. Warum – ihr ahnt es – weiß ich nicht.
Gern hätte ich mich in diesem verwirrenden Ansturm bruchstückhafter Informationen zumindest am Protagonisten Taj festgeklammert, ja, ich wäre bereit gewesen, ihn emotional in einem Todesgriff zu halten, um mich durch „Beasts Made of Night“ hindurchzubringen. Es ging nicht. Ich kann ihn nicht leiden. Er ist arrogant und aggressiv, kein bisschen empathisch und kurz gesagt ein Widerling, der viel zu große Stücke darauf hält, bisher nicht verrückt geworden zu sein. Tolle Leistung. Applaus.
Kurz vor Schluss versucht Tochi Onyebuchi dann, die Handlung dieses Schweizer Käses durch eine überraschende Wendung aufregend und unvorhersehbar zu gestalten. Unglücklicherweise war dieser Dreh inhaltlich vollkommen unlogisch. Das fällt allerdings nur marginal ins Gewicht, weil das Vorspiel kaum glaubwürdiger ist.
Es tut mir sehr leid, dass mir „Beasts Made of Night“ nicht gefiel. Ich glaube fest daran, dass Tochi Onyebuchi ein toller Mensch ist, freundlich und hilfsbereit. Seine Pläne, ein erfolgreicher Autor zu werden, würde ich an seiner Stelle jedoch noch ein paar Jahre auf Eis legen. Was diesen Reihenauftakt betrifft, kann ich leider nur einen möglichen Rat aussprechen: ab damit in den Papierkorb und noch einmal ganz von vorn anfangen. In ihrer aktuellen Form hat die Geschichte meiner Ansicht nach nicht einmal Potential, da sie zu viele offene Baustellen aufweist.
Ich begreife nicht, wieso das Manuskript überhaupt von einem Verlag angenommen wurde. Aufgrund mehrerer Rezensionen, die ich gelesen habe, weiß ich, dass ich nicht die einzige bin, die so empfindet. Man hätte Onyebuchi vor diesen Negativmeinungen bewahren müssen. Niemand sollte erleben müssen, wie der eigene Debütroman von den Leser_innen in Stücke gerissen wird.
Vielen Dank an Netgalley und den Verlag Razorbill für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars im Austausch für eine ehrliche Rezension!
Hallo, Elli!
Oh, das klingt ja ziemlich haarsträubend. Tut mir leid, dass der Debutroman des Autors so daneben gegangen ist. Schon als ich die Ein-Stern-Bewertung von dir gesehen habe….naja.
Ich überlege gerade, dass bei einem Roman ja immer Lektoren dazugehören. Sind denen die ganzen Fehler denn nicht aufgefallen. Oder glaubst du, dass das Buch vorher noch schlimmer war?
Nun, ich hoffe, du sitzt inzwischen schon an einem weitaus großartigerem Buch, das dich diese Frustration vergessen lässt. :)
Hey, wie geht es eigentlich deiner Prinzessin? :)
LG, m
Huhu,
genau die Frage habe ich mir auch gestellt. Ich weiß nicht, was da schiefgelaufen ist. Ich verstehe nicht, wie es an all den Kontrollinstanzen eines Verlages vorbeikommen konnte.
Ja, ach, die Enttäuschung habe ich längst überwunden, ist ja schon ein Weilchen her. ;)
Der Prinzessin geht es soweit gut, wir sind ein bisschen aufgeregt, weil wir morgen unseren ersten Termin mit der Physiotherapeutin haben. Okay, ICH bin ein bisschen aufgeregt. Sie nicht. :D
LG
Elli
Hallo Elli,
danke erstmal für die Rezension. Das Buch stand auf meiner WuLi, aber ich werde es jetzt davon runternehmen. Ich habe noch einge andere Rezis dazu gelesen und was du und die anderen Rezensenten beschreiben klingt wirklich haarsträubend.
Schade eigentlich, weil die Idee des Romans wirklich toll und originell klingt.
LG
Elisa
Hey Elisa,
das fand ich auch, deshalb habe ich das Rezensionsexemplar angefragt. Normalerweise sage ich immer, dass mein Eindruck ja nicht dem Eindruck anderer Leser_innen entsprechen muss, weshalb ich nur sehr selten davon abrate, ein Buch zu lesen, aber hier… Lohnt sich wirklich nicht.
LG
Elli
Hallo Elli,
ich muss gestehen, ich kannte Tochi Onyebuchi bis eben nicht. Bei deinen einleitenden Worten wurde ich aber sofort neugierig, mehr über ihn und sein Buch zu erfahren. Auch die Idee hinter dem Buch fand ich sehr spannend und ich habe darin viel Potenzial gesehen, dass die Story neue Blickwinkel auf das Thema Sünde liefern könnte.
Schade, dass das Buch aber wohl so unfertig und misslungen wirkt. Ich kann mir vorstellen, dass dir diese Besprechung und die harten Worte auch nicht leicht fielen. Hast du schon eine oder mehrere von Tochi Onyebuchis Kurzgeschichten gelesen? Mich würde ja interessieren, ob er „nur“ die Langform nicht kann oder seine Texte generell so „löchrig“ daher kommen.
Liebe Grüße
Kathrin
Hallo Kathrin,
das ist richtig, es war nicht einfach, so negativ über das Werk eines Menschen zu schreiben, der mir absolut sympathisch ist. Bisher habe ich noch nichts anderes von ihm gelesen, weil seine Kurzgeschichten zur Science-Fiction zählen. Könnte ich aber mal machen, gute Idee. :)
LG
Elli
Mich würde auf jeden Fall dein Urteil zu den Kurzgeschichten interessieren. Ich halte aber auch selbst die Augen auf und schaue mal, ob ich zeitnah Gelegenheit habe, seine Kurzgeschichten näher kennenzulernen. Für mich sind Kurzgeschichten auch immer eine gute Gelegenheit, neue Autoren zu entdecken und mit ihrem Stil und ihren Ideen vertraut zu werden. :)
Ich tue mich persönlich recht schwer mit Kurzgeschichten, weil sie mir meist lauwarm erscheinen: nichts Halbes, aber auch nichts Ganzes. ;)
Stimmt – Kurzgeschichten sind nichts für jeden bzw. zum Teil gewöhnungsbedürftig. ;) Ich konnte früher auch nur wenig mit dieser Textform anfangen und habe sie erst vor ein paar Jahren zu schätzen gelernt, als sie für mich die einzig geeignete Lektüre waren, als ich durch Stress wenig Zeit und Konzentration für längere Texte hatte.
Es gibt bei Kurzgeschichten aber auch extreme Unterschiede in Umsetzung und Qualität – im Bereich Fantasy und Science Fiction gefallen mir Kurzgeschichten oft gut, bei Gegenwartsliteratur hingegen tu ich mich mit Kurzgeschichten noch heute schwer. ;)