Stephen King – In einer kleinen Stadt: Needful Things
„In einer kleinen Stadt: Needful Things“ von Stephen King habe ich mir vorgenommen, weil mein Bauch so laut danach schrie, dass ich seinen Wunsch nicht ignorieren konnte. Ich weiß nicht, warum er plötzlich von heute auf morgen der Ansicht war, dass die Zeit ausgerechnet für dieses Buch gekommen sei, war aber gern bereit, mich darauf einzulassen. Meinen letzten King hatte ich im Juli 2015 gelesen; es handelte sich um „Stark: The Dark Half“. Beide Romane werden dem Castle-Rock-Zyklus zugeordnet, wobei „In einer kleinen Stadt“ passenderweise chronologisch nach „Stark“ angesiedelt ist. Ursprünglich plante King, den Zyklus mit diesem Werk abzuschließen, kehrte in den folgenden Jahren allerdings doch mehrfach nach Castle Rock, die fiktive Kleinstadt im Westen Maines, zurück.
In einer kleinen Stadt wie Castle Rock ist die Eröffnung eines neuen Geschäfts eine mittlere Sensation. Natürlich würde es niemals jemand zugeben, aber als an der Main Street eine schöne grüne Markise angebracht wird, ergreift eine Atmosphäre mühsam im Zaum gehaltener Neugier die Stadt. »Needful Things« steht auf dem Schild an der Tür. Der Inhaber ist Leland Gaunt, ein Fremder von außerhalb. Er verspricht eine völlig neue Art von Laden und er hält Wort: bei »Needful Things« gibt es alles, was das Herz begehrt – zu Spottpreisen. Geld scheint Mr. Gaunt nicht besonders wichtig zu sein. Stattdessen erwartet er von seinen Kund_innen als Teil der Bezahlung, dass sie ihren Nachbar_innen kleine Streiche spielen. Was ist schon dabei? Doch der harmlose Spaß entwickelt sich unaufhaltsam zu tödlichem Ernst, die Situation gerät außer Kontrolle und Castle Rock stürzt ins Chaos. Werden einige wenige aufrechte Bürger_innen ausreichen, um die Stadt zu retten?
Ich bin ein bisschen perplex. „In einer kleinen Stadt“ hat meine Erwartungen weit übertroffen. Nicht hinsichtlich des Inhalts, denn diesen schätzte ich bereits vor der Lektüre als gewohnt aufregend und unheimlich ein, sondern hinsichtlich des Schreibstils. Stephen King hat irgendetwas verändert. Anscheinend hat er an ein paar Schräubchen gedreht, denn dieses Werk ist der erste und bisher einzige Roman aus seiner Feder, der meine Aufmerksamkeit ungebrochen zu fesseln vermochte. „In einer kleinen Stadt“ weist keinerlei Längen auf. Es ist durchgehend spannend. Für mich ist das eine kleine Sensation, denn ich war fest darauf eingestellt, es wieder einmal mit einigen zähen Passagen zu tun zu bekommen, durch die ich mich würde durchbeißen müssen. Vielleicht lag es daran, dass ich wirklich aus tiefstem Herzen Lust auf dieses Buch hatte, vielleicht hat King mehr Wert auf einen konstanten Spannungsbogen gelegt – was immer es war, „In einer kleinen Stadt“ hielt mich pausenlos in Atem, obwohl sich die Handlung recht gemütlich entfaltet. Es beginnt harmlos: »Needful Things« eröffnet in Castle Rock und Mr. Gaunt bemüht sich rührend, die sehnlichsten Wünsche aller Bewohner_innen der Stadt zu erfüllen. Dass Gaunt keineswegs ein wohltätiger Samariter und Geschäftsmann ist, lässt King erst nur anklingen. Ein bedrohlicher Blick hier, ein gemurmeltes Wort da, ein Händeschütteln, das Abscheu auslöst. Er vermittelt seinen Leser_innen subtil, dass Misstrauen angebracht ist und bringt sie dadurch in die für Horrorgeschichten typische, den Figuren überlegene Position. Ich konnte beobachten, wie die Bürger_innen von Castle Rock der Gier nachgaben und Mr. Gaunt auf den Leim gingen; ich wollte ihnen zurufen, sich nicht auf diesen aalglatten Händler einzulassen und spürte lebhaft, wie sich die Spirale des Terrors zuzog und sich die Ereignisse bis zur Eskalation zuspitzten. Meiner Meinung nach haben die Menschen in Castle Rock zwei bedeutende Schwachstellen, die King Gaunt perfide ausnutzen ließ: ihre Habsucht und ihre Streitigkeiten untereinander. Gaunt spielt meisterhaft auf der Klaviatur der Kleinstadt-Fehden und hetzt alle Akteure geschickt gegeneinander auf, sodass am Ende er allein als Profiteur dasteht. Er treibt jeden noch so kleinen schwelenden Zwist auf die Spitze und bedient sich dabei (zumindest anfangs) erstaunlich zurückhaltender Mittel. Es überraschte mich, wie wenig nötig ist, um die Konflikte gottesfürchtiger, anständiger und strikt bürgerlicher Leute in hässliche Gewalttätigkeiten ausufern und eine ganze Stadt in Anarchie versinken zu lassen. Natürlich kann eine derartige Situation nicht für alle Beteiligten glimpflich ausgehen. Ich fand, dass Stephen King sehr hart mit seinen Figuren ins Gericht geht und sie für ihre Fehler bitter bestraft. Besonders in einem Fall wünschte ich mir vergeblich, dass er Nachsicht und Gnade walten ließe. Trotz dessen verstehe ich, warum er streng war, niemanden davonkommen und sie alle leiden ließ. Castle Rock musste geläutert werden. Läuterung verlangt nach Schmerz.
Mir gefiel „In einer kleinen Stadt“ hervorragend. Es ist eine mitreißende Geschichte von Gier, Bedürfnissen und Manipulation, die das Klischee der Kleinstadtidylle auf faszinierende Weise pervertiert. Obwohl Stephen King das eine oder andere übernatürliche Elemente einarbeitete, sind es in Wahrheit doch wieder einmal die Abgründe der menschlichen Psyche und Natur, die das Grauen dieses Buches prägen. Man stelle sich vor, alle Fehden einer kleinen Stadt würden mit einem Schlag eskalieren, aus welchem Grund auch immer – das Ergebnis ist den Geschehnissen nicht unähnlich, die King für „In einer kleinen Stadt“ so farbenfroh beschreibt. Lässt man das Übernatürliche weg, ist seine Schreckensvision unwahrscheinlich, aber dennoch vorstellbar und genau das ist der Grund, warum ich ihn als Autor unheimlicher Geschichten schätze. Er hat erkannt, dass wir Menschen selbst die furchteinflößende Quelle unseres Horrors sind. Vielleicht ist die schützende Schicht namens Zivilisation, die unsere Triebe unter Verschluss hält, um einiges dünner, als wir glauben möchten.
Ich bin ja immer fasziniert, wie dick die Bücher von King doch immer sind… bis jetzt habe ich von ihm ja nur Carrie gelesen und war wirklich so entsetzt, das ich mich an kein weiteres mehr heran getraue.. aber dieses hier würde mich irgendwie auch noch reizen… mal sehen. Hast du noch einen anderen Buchtipp von ihm? Hast du ES schon gelesen und kannst du mir es empfehlen oder würdest du mir eher davon abraten?
Wünsche dir einen schönem Tag!
Huhu,
ich habe „ES“ gelesen, ja. Ich fand es fantastisch. Natürlich hat es seine unheimlichen, gruseligen Momente und ich kann nicht leugnen, dass ich Albträume hatte, aber im Kern ist es eine großartige Geschichte über Freundschaft. Ich würde es dir empfehlen, entscheiden musst du aber letztendlich selbst, ob du dafür die Nerven hast. :)
Viele liebe Grüße,
Elli
Okay! Danke für den Tipp :D
Needful Things steht mittlerweile seit ca. einem Jahr ungelesen in meinem Regal, einfach nur weil ich bisher keine Zeit bzw. keinen Drang dazu verspührte es zu lesen. Aber durch deine Rezension habe ich gerade richtig Lust darauf es zu lesen
Irgendwann vor ziemlich langer Zeit hab ich mal die Verfilmung gesehen und weiß noch, dass ich das ganz schön zum Gruseln fand. Aber wie gesagt, es ist etliche Jahre her… Du hast mir jetzt richtig Lust gemacht, das Buch zu lesen. Muss ich unbedingt dran denken, wenn ich mir das nächste Mal welche ausleihe.
Needful Things ist zwar längst nicht mein liebster King (wobei die Frage ist, welcher das wäre), aber ich erinnere mich noch deutlich an die Atmosphäre der kleinen Stadt, deren Einwohner nach und nach die Fesseln von Moral und Zivilisation abschütteln, wie ein Baum sein Laub im Herbst. Beängstigend. Ähnlich und doch ganz anders hat er es in „Die Arena“ („Under the Dome“) später noch einmal mit Erfolg versucht und da brauchte es dann keinen teuflischen Schachmeister.
Wie bei so vielen SK der Ära lässt das Buch leider zum Ende hin nach. Deine Rezension zeigt aber sehr gut, wieso man es trotz der kleinen Fehler lesen sollte, wenn man auf gut gemachte Thriller/Horror steht, mit der psychologischen Tiefe, die nur King liefern kann :)
Huhu,
ich habe „Needful Things“ letztes Jahr gelesen und war ebenfalls fasziniert, wie geschickt die Bürger gegeneinander ausgespielt werden und wie sich aus Kleinigkeiten letztlich all diese Toten entwickeln. :O Ich mag Kings Werke überwiegend auch sehr gerne und lese jedes Jahr mindestens eines (die Auswahl ist ja groß genug) und musste feststellen, dass mir meistens das Ende nicht so sehr zusagt, wenn es allzu übernatürlich wird. Aber bis dahin sind es für mich zumeist großartige Bücher. :)
LG Alica
[…] Er ist der Meister des Horros. Natürlich sind seine Gegenspieler immer außergewöhnlich fies. In „In einer kleinen Stadt: Needful Things“ wird diese Rolle von Leland Gaunt verkörpert, der virtuos auf der Klaviatur der Kleinstadt-Fehden […]